Zürich mal anders (sozialer Stadtrundgang)

Obdachlos
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Zürich ist eine der teuersten Städte der Welt. Doch hast du dich schon mal gefragt, was mit einem Menschen in der reichen Stadt Zürich passiert wenn er obdachlos wird? Diese Frage beantwortet eine Stadtführung der anderen Art.

Seit Jahren wird Zürich neben Genf als eine der Städte mit der weltweit höchsten Lebensqualität und zugleich den höchsten Lebenshaltungskosten weltweit gelistet.

Sozialer Stadtrundgang

Raus aus der Komfortzone! Bei sozialen Stadtrundgängen zeigen Armutsbetroffene und Obdachlose das reiche Zürich aus einer anderen Perspektive. Wie ist das Leben auf den Strassen von Zürich? Wo bekommt man Hilfe? Was bedeutet Freundschaft auf der Strasse?

Die von mir ausgewählte Tour 6 findet jeweils am Samstag statt und gehört zum Themenschwerpunkt «Überleben auf der Gasse». Wo erhält man eine warme Mahlzeit, wenn das Geld nicht zum Leben reicht? Was bedeuten Freundschaft und Solidarität auf der Gasse, wenn man das Beziehungsnetz verloren hat?

Stadtführer Hans Rhyner

Mein Stadtführer ist Hans. Als Einstieg in die Tour erzählt er uns seine Lebensgeschichte. Alle sind wir sehr erstaunt wie offen er über sein Leben und seine Suchtvergangenheit berichtet.

Stadtführer

Hans Rhyner (geb. 1954) stösst im Januar 2016 als Stadtführer zum Team. Nach einer strengen, aber auch schönen Kindheit auf einer Bergbauernheimat verliert er mit 16 Jahren seinen Vater und verfällt dem Alkohol. Er absolviert eine Lehre als Schlosser, danach zieht es ihn allerdings nach Zürich in den damals berühmt-berüchtigten Kreis 4. Er hat trotz seiner Sucht immer Gelegenheitsjobs und nimmt Unterstützung bei der Alkoholfürsorge an. Später findet er eine Stelle im Aussendienst und merkt, dass ihn der Kontakt mit Menschen beglückt. Er kann seine Sucht stabilisieren. Nach der Trennung seiner Freundin erleidet er einen Rückfall und lebt einige Monate auf der Strasse. Daraufhin führt er ein Dasein zwischen Klinikaufenthalten und geregeltem Alltag. Heute ist er auf dem Genesungsweg und verkauft seit 2014 auch das Strassenmagazin. Sein Motto: «Auch mit einer langjährigen Sucht kann man sich entwickeln und im Leben Vorwärts kommen.» (Quelle: surprise.ngo)

Herberge zur Heimat

Die Herberge zur Heimat ist ein Wohn- und Durchgangsheim für alleinstehende Männer aus Stadt und Kanton. Hier werden erwachsene Menschen vorurteilslos aufgenommen, die wegen eines beeinträchtigten psychischen Zustandes auf Hilfe zur Bewältigung ihres Alltags angewiesen sind.

Wie uns Hans erzählt, suchen hier längst nicht nur Menschen an der Armutsgrenze Zuschlupf. Einsamkeit und Ausgrenzung aus der Gesellschaft sind nun mal keine Frage des Geldes.

Herberge zur Heimat
Hier finden Männer Zuflucht

Urania Bogen

Weiter geht es zum Amtshaus IV. Nie hätte ich gedacht, dass hier Menschen die Nacht verbringen. Offenbar gehört dieses Land weder der Stadt noch dem Kanton, sondern der Kirche. Daher dürfen Obdachlose nicht abgewiesen werden. Natürlich muss kein Obdachloser in Zürich zwingend draussen schlafen, besonders für kalte Nächte gibt es Institutionen wie den „Pfuusbus“ vom Sozialwerk Pfarrer Sieber. Laut Hans nimmt die Anzahl der Obdachlosen zu, nicht zuletzt wegen der Schengen-Problematik, und es leben mehr Männer als Frauen auf der Strasse.

Übernachtungsplatz für Obdachlose

Speak-Out / Gassenküche

Eine andere interessante Station auf der Tour ist die Gassenküche, das Speak-Out. Hier finden Menschen in einer Notlage für einige Stunden Ruhe, Wärme, Gesellschaft sowie kostenlose Mahlzeiten. Die Gassenküche bekommt viele Spenden, wie etwa vom Rottaris-Club, der in der Weihnachtszeit ein Raclette-Essen ausrichtet.

Hans plaudert aus dem Nähkästchen. So soll sich Polo Hofer öfters hier aufgehalten haben. Unter anderem zu Zeiten wo sein Mundart-Rock in Zürich noch nicht so gut ankam und er während einem Konzert mit Eiern beworfen wurde.

Blick in die Gassenküche

Café Yucca

Anschliessend geht es ins nahe Café Yucca der Zürcher Stadtmission. Hier finden Menschen (ohne Konsumationszwang) Kontakte oder Gesprächspartner und es wird Unterstützung bei Problemen und Nöten angeboten. Zudem steht täglich gratis eine Suppe oder eine warme Mahlzeit für 5.00 Franken bereit. Einmal pro Woche verteilt der Verein „Tischlein deck dich“ Lebensmittel an Bedürftige.

Mehr als ein Café

Strassenmagazin „Surprise“

Hans erzählt zum Schluss von seiner Arbeit als Verkäufer für das Strassenmagazin Surprise. Er verkauft das Magazin mehrmals pro Woche auch in Zug am Bahnhof. Ich werde ihm daher in Zukunft bestimmt mal wieder über den Weg laufen, ein Magazin kaufen und mich an die spannende Tour erinnern die ich wirklich sehr empfehlen kann.

Surprise bietet Menschen, die keinen oder einen eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben, die Möglichkeit einer Tätigkeit nachzugehen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins können sie selbständig einen Verdienst erwirtschaften. Dazu braucht es Mut, Durchhaltevermögen und Sozialkompetenz. Das erleben die Verkaufenden im Kontakt mit ihrer Kundschaft. Der Aufbau einer individuellen Tagesstruktur bringt Erfolgserlebnisse und stärkt das Selbstvertrauen.

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